was bachs noten verraten

Keine Frage: Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium mit seinem er-öffnenden Paukenmotiv ist der Sound zum Fest schlechthin. Dabei verraten schon jene Paukentöne, dass diese Musik einst eine andere Bedeutung hatte. Und wenn man genau hinhört, offenbaren die Klänge auch einiges von Bachs Leipziger Problemen.
Doch der Reihe nach: Im Sommer 1730 formulierte der Thomaskantor erst eine Beschwerdeschrift und bat dann einen Jugendfreund um Hilfe bei der Suche nach einer neuen Stelle. Die gab es zwar nicht, aber ab 1733 bot sich eine Perspektive: Während der Landestrauer nach dem Tod August des Starken komponierte Bach den Beginn der späteren h-Moll-Messe und bat um den Titel eines kurfürstlichen Musikers. Zur Bekräftigung wartete er bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Glückwunschkantaten auf.
Die Werke für den Hof schienen Bach aber zu kostbar zum einmaligen Gebrauch. So nutzte er sie 1734 als Vorlage für sein Weihnachtsoratorium. Die Anfangsworte „Tönet ihr Pauken“ wurden zu „Jauchzet, frohlocket“, und eine Huldigungsmusik mutierte so zum geistlichen Dauerbrenner. Das Gebot, dass Trompeten nur für Herrscher spielen durften, konnte Bach umgehen: Schließlich galt es, die Geburt des höchsten Herrschers zu feiern. Die Idee, dass die Insignien weltlicher Macht gerade gut genug sind, um diesem Höchsten ein Wiegenlied zu spielen, wie es am Schluss der ersten Kantate erklingt, ist ein Geniestreich sondergleichen.

Text: Hagen Kunze 
Musik: J. S. Bach: "Ach mein herzliebes Jesulein", Schlusschoral der Kantate I Weihnachts-Oratorium (Thomanerchor Leipzig; Gewandhausorchester Leipzig, Thomaskantor Gotthold Schwarz) (Accentus: ACC20479) [DVD] [2019])