Der Vorgang ist von äußerster Eile, und deshalb muss die Leipziger Ratsversammlung sogar noch kurz vor Heiligabend am 19. Dezember 1653 tagen. Denn es geht darum, einen der fähigsten Musiker seiner Zeit in der Stadt zu halten – Johann Rosenmüller, 1619 im Vogtland geboren, 1642 zum Lehrer an der Thomasschule und neun Jahre später zum Nikolaiorganisten ernannt.
Nun aber pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass die Dresdner den 34-Jährigen als Kreuzkantor wünschen. Deshalb fragt der Rat bei Rosenmüller an, unter welchen Bedingungen er bereit wäre, die Berufung auszuschlagen. Und der Hochbegabte greift nach den Sternen: Er fordert eine Garantie auf den Posten des Thomaskantors nach dem Tod des Amtsinhabers Tobias Michael. Darum also die Eile, und darum beschließt der Rat mit der „expectanz oder succession zur Cantorstelle“ etwas, was in der Leipziger Musikgeschichte einmalig ist.
Das Schreiben aber nützt Rosenmüller herzlich wenig, als das Amt vier Jahre später neu besetzt werden muss. Denn schon 1655 war der Ausnahmekünstler Hals über Kopf aus Leipzig geflohen. Zuvor hatte man ihn unter dem Verdacht der Pädophilie verhaftet. Gut möglich, dass bei der Flucht nachgeholfen wurde: Angesichts der Dimensionen (in den Skandal waren auch Söhne von Stadträten involviert) hätte ein Prozess die Schule in ihren Grundfesten erschüttert.
Text: Hagen Kunze