singen für's tägliche brot

Leipziger, die im Bachstraßenviertel wohnen, warten das ganze Jahr auf diesen Tag: In kleinen Gruppen ziehen am Heiligabend Thomaner durchs Viertel und freuen sich nach ihren Ständchen über Geschenke. Es ist natürlich nur eine Paraphrase auf das klassische Bild vom Thomaner früherer Jahrhunderte, der frierend und hungernd durch Leipzig zog und mit seinem glockenhellen Gesang die Herzen der Einwohner erweichte.

„Kurrende“ nannte sich die Sängerschar einst, und noch immer werden in Mitteldeutschland kirchliche Kinderchöre mit diesem Wort bezeichnet. Der wohl berühmteste Kurrendesänger war der Reformator Martin Luther, der als Kind in Eisenach singend von Tür zu Tür ging. Wann zum ersten Mal die Thomaner als Kurrende durch Leipzig zogen, ist nicht überliefert. Aufzeichnungen des Stiftskämmerers Martin Kramer aus dem Jahr 1521 belegen, dass das „pro pane loffenn“ („fürs Brot laufen“) für die Schüler zu dieser Zeit schon länger existenznotwendig war.

Auch die Lehrer brauchten den zusätzlichen Obulus, um über die Runden zu kommen. Nicht immer reichten die Spenden: Die Freigiebigkeit hätte stark abgenommen, berichtete Kramer betrübt. Den Grund, weshalb die Leipziger weniger gaben, lieferte er gleich mit: Die Bürger beschwerten sich nämlich darüber, dass sonntags in der Kirche deutlich weniger Thomaner gesungen hätten als während der Kurrende-Umzüge.

Text: Hagen Kunze