orden und gehaltserhöhung

Im 19. Jahrhundert hatte das Amt des Thomaskantors solch einen hohen Ruf, dass bei Neubesetzungen der Stadtrat unter vielen namhaften Kandidaten wählen konnte. Nach dem Tod von Wilhelm Rust im Mai 1892 trafen gleich zehn Bewerbungen ein. Aber auch damals hatte man den gewünschten Nachfolger schon länger im Blick.

Doch weil Albert Becker, als Leiter des Berliner Domchores der hochkarätigste Chorleiter seiner Zeit, keine Unterlagen nach Leipzig sandte, wurde er höflich „um Bewerbung gebeten“. Beckers anfängliches Desinteresse hatte einen einfachen Grund: Schon einmal, 1879, hatte sich der Berliner um das ruhmreiche Amt beworben. Im Auswahlverfahren wurde damals jedoch der von Brahms empfohlene Rust bevorzugt.

13 Jahre später sah es nun ganz anders aus. Becker bewarb sich dann doch, die Berufung wenige Tage später war nur noch Formsache. Doch nun machte Kaiser Wilhelm II., der oberste Dienstherr des 58-Jährigen, einen Strich durch alle Pläne: Das deutsche Staatsoberhaupt lehnte das Entlassungsgesuch seines berühmten Chorleiters ab, erwirkte eine ordentliche Gehaltserhöhung und verlieh Becker zudem einen hohen Orden. So beugte man sich in Leipzig erneut über die Papiere der Kandidaten und ernannte schließlich Gustav Schreck zum Thomaskantor.


Text: Hagen Kunze