Noch bevor Arthur Nikisch 1918 mit der Aufführung von Beethovens Neunter zu Silvester ein Ritual begründete, das heute global zelebriert wird, hatten die Leipziger ihre eigenen Jahreswechsel-Traditionen, und der Gesang der Thomaner gehörte natürlich dazu. Seit 1875 war der Knabenchor stets Gast in den Neujahrskonzerten im Gewandhaus. In jenem Jahr hatten die Sänger den Abend mit Robert Volksmanns a-cappella-Motette „Weihnachtslied aus dem 12. Jahrhundert“ eröffnet, ehe das Orchester übernahm. Geleitet wurde der Gesang vom Thomaskantor – damals Ernst Friedrich Richter.
Den Leipzigern scheint der Thomanerauftritt außerhalb der Kirchen gefallen zu haben, denn in den folgenden Jahren wurde der Choranteil am Festkonzert größer. Zu Neujahr 1885 sangen die Thomaner erstmals im wenige Wochen zuvor eingeweihten Neuen Gewandhaus, nun dirigiert von Richters Nachfolger Wilhelm Rust. Nach dessen Tod 1892 schlief die junge Tradition nach und nach wieder ein, am 1. Januar 1901 trat der Chor unter Leitung von Gustav Schreck letztmalig in einem Neujahrskonzert im Musentempel auf. Zum Glück aber war das nicht das Ende der gemeinsamen Musik von Gewandhausorchester und Thomanerchor zum Jahreswechsel: Mittlerweile ist es Brauch, dass die Silvestermotette mit dem stets gleichen Stück endet – der Friedensbitte des „Dona nobis pacem“ aus Bachs h-Moll-Messe.
Text: Hagen Kunze
Musik: THOMANERCHOR Leipzig Freiburger Barockorchester, Georg Christoph Biller "Dona nobis pacem"
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