Halb Leipzig war auf den Beinen an jenem 4. April, dem Palmsonntag des Jahres 1841. Denn was in den Tagen zuvor aus der Thomaskirche nach außen gedrungen war, ließ eine Sensation erwarten. Nichts Geringeres als Bachs Matthäuspassion hatte Felix Mendelssohn Bartholdy für ein Benefizkonzert zugunsten des von ihm geplanten Bach-Denkmals angesetzt.
Zwar hatte der Gewandhauskapellmeister schon zwölf Jahre zuvor in Berlin das Werk dirigiert und damit eine Serie von Aufführungen in ganz Deutschland angeregt. Doch in Bachs eigener Stadt war die Passion seit Lebzeiten des berühmtesten aller Thomaskantoren nicht mehr erklungen. Mehr noch: Keine einzige Note sei von diesem Stück in Leipzig bekannt, schrieb Mendelssohn seinem Bruder Paul. Die Noten musste er sich darum von der Berliner Singakademie leihen.
Interessant sind die Veränderungen, die Mendelssohn in Leipzig im Vergleich zur Berliner Aufführung vornahm. So ließ er einige der zuvor gestrichenen Arien wieder singen, ersetzte das Klavier durch zwei Celli und einen Kontrabass und mutete dem Publikum so eine Klangsprache zu, die deutlich näher am Original war. Die Leipziger wussten das zu schätzen: Obwohl Mendelssohn die Passion nie wieder dirigierte, wurde sie innerhalb kürzester Zeit zum traditionellen Bestandteil der Karwoche in Leipzig.
Text: Hagen Kunze