ein grausiges spektakel

Ganz und gar nicht andachtsvoll ist jenes Geschehen, das die Chronik vom 7. April 1563 zu berichten weiß: An jenem Mittwoch in der Karwoche nämlich „ward bei nächtlicher Weile der Gotteskasten in der Kirche zu St. Thomas erbrochen und beraubet“. Gingen die weltlichen Herrscher damals schon unter normalen Umständen nicht zimperlich mit Räubern um, so gab es in Sachen Kirchenraub erst recht kein Erbarmen. Schließlich war die Spende des „Zehnten“ Ehrensache, und was die Gläubigen in den Klingelbeutel gaben, gehörte niemand Geringerem als – dies verrät bereits der Name „Gotteskasten“ – dem Höchsten persönlich.

Es dauerte auch nicht lange, bis der Übeltäter gefunden wurde. „Der Täter ward erkundiget und gefänglich eingezogen“, berichtet die Chronik weiter, nicht ohne den Lesern auch noch das grausame Ende des Kirchenräubers mitzuteilen: „Mit dem Schwert gerichtet und aufs Rad geflochten“ hätte man ihn innerhalb weniger Tage.

Für die Thomaner waren solche Hinrichtungen durchaus Ablenkungen vom Alltag, gab es doch an Richttagen schulfrei. So standen die Sänger dann inmitten der schaulustigen Menge auf dem Leipziger Markt. Bisweilen aber hatten sie auch Pflichten beim grausigen Spektakel: Manchmal nämlich mussten sie die Delinquenten singend zum Richtplatz begleiten.

Text: Hagen Kunze