die thomaner auf reisen

Mehr als sieben Jahrhunderte dauerte es in der langen Thomaner-Geschichte, ehe der Chor im Herbst 1920 erstmals außerhalb Deutschlands zu hören war. Zuvor beschränkten sich auswärtige Auftritte auf wenige Ausnahmen: Bach nahm 1723 einige Sänger zu einer Orgelweihe nach Störmthal mit, unter Moritz Hauptmann sang man in Altenburg. Aber erst Karl Straube setzte das Motto „Wer die Thomaner hören will, der möge nach Leipzig kommen“ endgültig außer Kraft.

Dass die erste Reise der Thomaner (wie übrigens auch die bisher letzte vor der Corona-Pandemie) nach Skandinavien führte, war kein Zufall, hatte Straube doch zuvor schon in Nordeuropa zahlreiche Orgelkonzerte gegeben und dabei Kontakte geknüpft. Anders als heute aber war eine Chor-Tournee zwei Jahre nach Beendigung des ersten Weltkrieges organisatorisch ein schier unglaublicher Kraftakt, weil es dafür keine Blaupause gab.

Künstlerisch wurde die Premiere ein riesiger Erfolg, wie der Bericht in der „Berlingske Tidende“ vom 29. Oktober 1920 offenbart. „In allen Konzerten hat uns der Chor um unermessliche Schönheitseindrücke bereichert. Man fühlte, dass der Gipfel dessen erreicht war, was im Kirchenchorgesang geleistet werden kann“, lobte der Kritiker der führenden dänischen Tageszeitung. Eine hohe Ehrung gab’s später auch in Oslo, wo der norwegische König den Thomaskantor mit dem höchsten Orden seines Landes auszeichnete.

Text: Hagen Kunze
Fotos: aus Sammlung Fritz Spieß