aus dem amt gedrängt

An Brüderpaaren mangelt es in der deutschen Geistesgeschichte keinesfalls. Die Humboldts reformierten das Bildungswesen und schufen die Grundlage für die moderne Naturwissenschaft. Die Grimms sammelten Märchen und schrieben das Standardwörterbuch. Auch Sachsen hat sein einzigartiges Brüderpaar, das fast ein halbes Jahrhundert lang die Geschicke der beiden großen Knabenchöre leitete – gut zehn Jahre lang sogar parallel.
Dabei hätte Erhard Mauersberger, der am 29. Dezember 1903 geboren wurde, wohl selbst am wenigsten damit gerechnet, Thomaskantor zu werden. Während Rudolf von 1930 an mehr als vier Jahrzehnte lang Kreuzkantor war, formte Erhard das beschauliche Eisenach zu einem Zentrum der Kirchenmusik. Als Kurt Thomas jedoch Ende 1960 Hals über Kopf Leipzig verließ, weil den Thomanern eine Reise untersagt wurde, wurde der jüngere Bruder des Kreuzkantors zum neuen Thomaskantor ernannt. Nun lag es in seiner Hand, den Griff von Partei und Staat nach dem Chor abzuwehren.
Schon 1972 aber drängten die Machthaber Mauersberger wieder aus dem Amt: Parallel zur Umstrukturierung an der Thomasschule wurde der Thomaskantor in den Ruhestand versetzt. Und als wäre das nicht genug, strickten die Kulturpolitiker sogar noch die Legende eines Unfalls (dem 68-Jährigen sei eine Scheibe auf den Kopf gefallen), was Mauersberger bis zu seinem Tod 1981 jedoch vehement dementierte.

Text: Hagen Kunze 
Fotos: Motettenprobe in der Thomaskirche mit Erhard Mauersberger (Archiv), Erhard Mauersberger in der Probe mit Knabenstimmen (Archiv)
Musik: Erhard Mauersberger "Weihnacht", www.rondeau.de/CD/ROP4028