Der Bericht vom Pfingstsonntag 1539 fehlt in keiner Leipziger Chronik. In Windeseile hat der neue Landesvater Heinrich nach dem Tod seines Bruders Georg am 17. April die Grundlagen für die Reformation im albertinischen Sachsen gelegt. Die administrativen Reformen sind aber nur eine Seite der Medaille. Es gilt vielmehr, den neuen Glauben auch in die Herzen der Menschen zu bringen, weshalb Martin Luther persönlich in Leipzig predigen will.
Schon sein Einzug gleicht einem Triumphzug: Eine riesige Menschenmenge begleitet den Reformator vom Stadttor bis zur Herberge in Auerbachs Hof. Als Luther am Nachmittag des Pfingstsonntags endlich auf die Kanzel der Thomaskirche steigt, ist das Gotteshaus restlos überfüllt. Selbst von außen haben die Leipziger Leitern angelegt, um den Gast sehen und hören zu können.
Es wäre zu schön, wenn man nun beschreiben könnte, wie traumhaft die Thomaner dazu singen.Doch an diesem Tag haben die Knaben frei. Der altgläubige Propst Ambrosius Rauch, dem der Chor untersteht, verhindert, dass die Thomaner „die lutherische Pest“ musikalisch untermalen. Weil Rauch zudem auch verbietet, dass die große Kirchenglocke „Gloriosa“ geläutet wird, laufen die vom Küster heimlich instruierten Knaben durch die Stadt und werben mit Handzetteln für Luthers Predigt.
Text: Hagen Kunze